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[vc_row css_animation="" row_type="row" use_row_as_full_screen_section="no" type="full_width" angled_section="no" text_align="left" background_image_as_pattern="without_pattern"][vc_column][vc_column_text]4 Möwen sitzen am Bodenseeufer auf einer Stange: Eine ist aus Lindau angeflogen, eine andere aus der Schweiz, die sich im Laufe des sprachphilosophischen Diskurses als Linguist outet, eine vornehme ältere Möwin übersetzt für die, die die bodenseealemannischen Mundartdialekte nicht als Sprache, sondern als gutturalen Singsang verstehen, der in der Lautverschiebung (Lutverschiebig) im 15. Jhdt. steckengeblieben sei, und noch eine Möwe, welche aus Wien angereist ist, aber vorarlbergstämmige Wurzeln hat und somit das Wienerische mit dem Bodenseealemannischen, wie er es noch in seinen Ohren hat, vermischt. Heimische Möwe: Heile allezem. Wia gohts, wia stohts? Übersetzende Möwin: Grüß euch. Wie geht’s, wie steht’s? Wiener Möwe mit heimischen Wurzeln: Für mi bruchscht nit übersetza, weil i des Allemannischen zumindest passiv mächtig bin. Trotzdem danke. Übersetzende Möwin: Das ist mir schon klar, aber ich mach das ja nicht für dich, sondern für unsere Zuhörer. Hört einfach nicht hin, ja? Wiener Möwe (zur heimischen Möwe gewandt) Du, wieso seischt du Heile? Zu mina Zit hot des konaer gse:t. Übersetzende Möwin: Du, wieso sagst du Heile? Zu meiner Zeit hat das keiner  gesagt. Heimische Möwe: Des muass aba lang her gsi si. I bi mit deam ufgwachsa. Übersetzende Möwin: Das muss aber lange her sein. Ich bin damit aufgewachsen. Schweizer Möwe: Deaf i mi do imischa? Übersetzende Möwin: Darf ich mich da einmischen? Alle zusammen: Klar deafscht des. Schweizer Möwe (ein ihr zugeworfenes Futter kauend: Bi üs seischt nit Heile, aba sit der hochtütschi Lutverschiebig, die vom Alperuum uusgange  isch  - wenn die zwait  Lutverschiebig agfange het, isch umstritte - het de Name vom   Hunnekönig Attila im lthochtütsche Etcilo glutet, taar mer aane, as d Verschiebig nöd vorem 5. Joorhundert agfange het. D  Grenze zwüschet   de Dialekt mit Lutverschiebig und dene oni nennt mer Benrather Lini. Übersetzende Möwin: Ich weiß zwar nicht, was das mit Heile zu tun haben soll,   aber ich übersetze es trotzdem. Bei uns sagt man nicht Heile, aber seit der hochdeutschen Lautverschiebung, die vom Alpenraum ausgegangen      ist, - wann die zweite Lautverschiebung angefangen hat, ist umstritten -,          hat der Name für den Hunnenkönig Attila im Althochdeutschen Etcilo ge- heißen, davon ausgehend kann man sagen, dass die Lautverschiebung nicht vor dem 5.Jhdt. stattgefunden hat. Die Grenze zwischen dem   Dialekt mit Lautverschiebung und denen ohne, nennt man Benrather Linie. (Uff) Alle glotzen zuerst die Schweizer Möwe und dann – sich gegenseitig den Vogel zeigend -die übersetzende Möwin an. Minutenlang herrscht ratloses Schweigen, während sich die Schweizer Möwe gelangweilt oder verlegen ihr Gefieder putzt.

narr Er sagte nichts, aber er schwieg auch nicht. Er starrte vor sich hin, wie einer, der ins Narrenkästchen schaut. „Schaust wieder ins Narrenkästchen“, hat meine Oma immer gesagt, wenn ich nur körperlich anwesend war, und mich in eine andere Welt geträumt hatte. In eine Welt, die noch in Ordnung war, als meine Großeltern noch lebten. Ich hatte eine genaue Vorstellung von diesem Narrenkasten. Es war ein Kasten aus Holz mit Gitterstäben und er hatte Räder wie einer von den Zirkuswagen, in denen Tiere aus für mich als Kind sagenumwobenen Ländern wie Afrika hinter den Gitterstäben hin und her gingen, ruhelos, wie ich es viele Jahre später in einem Gedicht von Rilke beschreiben fand, damals, als man Schülern noch zumuten durfte, herauszufinden, was der Dichter mit diesen Zeilen gemeint haben könnte. Nicht so wie heute, wo kompetenzorientiertes Lernen darin besteht, dass du Lückentexte richtig ausfüllen und verwirrende multiple-choice-Fragen beantworten musst, indem du ein X in das richtige Kästchen setzt, um dein Textverständnis unter Beweis zu stellen wie zB.: Um welches Tier handelt es sich? A) Löwe B) Tiger C) Panter.  Aber ich schweife ab. Lass mich das Bild von dem Narrenkasten, das ich mir als Kind gemalt hatte, noch schnell abschließen, bevor ich die Geschichte weiter erzähle, wenn du sie überhaupt hören willst. Manchmal nämlich stand da auch ein Mann in der schwarz-weiß gestreiften Kleidung eines Häftlings im Wagen, der noch von der Ferne wie ein Zebra ausgesehen hatte, und hielt sich an den Gitterstäben aufrecht. Er musste ein Narr sein, weil er Gesichter schnitt, nicht etwa, um mich zu belustigen, sondern, weil er nicht anders konnte. Er tat mir leid. Gleichzeitig stellte ich mir die Frage, ob er denn weiß, dass er eingesperrt worden, aber auch, ob es zu seinem Schutz oder dem meinen geschehen ist. Was sah er, denn er schien durch mich hindurch zu blicken und auf die Frage, wie es ihm denn so gehe, aber auch auf die mir viel Wichtigere, warum er das getan habe, keine Antwort zu wissen schien.