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Ein Summen und Sirren im Kopf. Ein Durcheinander von Gedanken und Bildern. Kraut und Rüben. Querbeet. Ich muss Ordnung bringen in dieses Chaos, denkt sie, oder mich ablenken, aber wie? So müd, aber an Schlaf, an Rettung durch Schlaf, durch traumlosen Schlaf, bitte, wenn möglich, auch diese Bitte bleibt unerfüllt. Sie war ja eben aus einem solchen aufgewacht. Schweißgebadet. Die Wände eines Zimmers, in welchem sie sich  - ohne es wieder zu erkennen – aufgehalten hatte, waren wie Kulissen von unsichtbarer Hand herum geschoben worden, immer auf sie zu, manchmal eine, dann zwei, die das Bett – das einzige Mobiliar - zu zermalmen drohten, dann alle vier. Ein Albtraum. Die einzige Zerstreuung, die mir zwischen Hamsterrad oder Mühlstein geblieben ist, aber nein, nicht einmal diese scheint mir gegönnt, und während sie spricht, zupft sie nervös Hautfalten an ihrem linken Handrücken hoch, der von einem Netz geschwollener Adern und Leberflecken überzogen ist, als wolle sie sich vergewissern, dass sie jetzt nicht mehr träumt. Die einzige Zerstreuung, hebt sie noch einmal an, …aber wen interessiert das schon. Nach einer Pause, in welcher nur ein kaum hörbares Nippen an einem mittlerweile kalt gewordenen Kaffee in einer Porzellantasse und das Abstellen dieser auf die Untertasse zu hören sind, scheint sie ein neuer Gedanke zu bestürmen, den sie aber gleich einer lästigen Fliege verscheucht, damit er nicht wieder, wie alle übrigen vor ihnen, in tonloser und an kein Gegenüber gerichteten Sprache ersticke, denn sie ist allein. Nicht ganz.  In ihrem Kopf sind Stimmen zu Gast, die sie von früher, aus einem anderen Leben her kennt. Und diese Stimmen sind alles andere als wesenlos. Im Gegenteil: Zu jeder Stimme, die sich meldet, - und sie melden sich unaufgerufen -, hatte sie einst ein reales Verhältnis, eine in der Wirklichkeit begründete Beziehung; sie konnten sich gebärden, wie sie wollten, sie haben ihren festen und angestammten Platz, glaubt sie zumindest, denn es kann schon vorkommen, dass sie die eine mit der anderen verwechselt. Wer aber sollte ihr das nach so vielen Jahren auch verübeln? Die Geschichten, die sie mit ihr erlebt zu haben meinen, ihrem Wirt, bei dem sie sich nun in allen zur Verfügung stehenden Zimmern eingenistet hatten, waren im Laufe der Jahre austauschbar geworden oder hatten, wie Steine in einem Bachbett, so viel Abschleifungen und Glättungen erfahren, dass ihre ursprüngliche Gestalt nur noch vermutet werden konnte. Ihre posthumane und daher befristete Existenz war also einzig und allein dem Erinnerungsvermögen dieser betagten Frau anvertraut. Was für eine Bürde. Eine Stimme allerdings wird  von Tag zu Tag lauter. Es ist die Stimme eines Kindes, das sich Gehör verschaffen will und manchmal so verzweifelt schreit, dass sie sich jetzt – tausend Sonnen später - die Ohren zuhalten muss.