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20151114_113130Mit dem G-Train, der Spitzengeschwindigkeiten bis über 350 km/h erreichen kann, zurück von Guilin nach Shanghai. Für die über 1500 km lange Strecke braucht er allerdings fast 10 Stunden. In Shanghai ist es Nacht und eine Schlange von Menschen, die kein Ende nimmt, versucht ein Taxi zu bekommen. Schneeregen und beißende Kälte. Eine Stunde später sind wir im Hotel. Am nächsten Morgen nehmen wir ein letztes Mal den Zug nach Suzhou, um das Gepäck vom Campus zu holen, der wegen der Semesterferien ohne jeden Betrieb ist. In den Fernsehnachrichten erfährt man auch hier von den Kriegsherden im Nahen Osten und der Flüchtlingskrise in Europa. Merkel repräsentiert Europa. Wenn allerdings Xi Jinping, der Staatspräsident von China auftritt, der als Jugendlicher auf Grund der Kulturrevolution in ein Dorf flüchtete, um den Roten Garden zu entkommen, wird ihm eine journalistische Aufmerksamkeit zuteil, die schon wegen der Länge seiner Ausführungen in westlichen Medien vielleicht nur bei Reden zur Nation oder Neujahrsansprachen üblich ist.

Im Talmud steht der Satz: Wir sehen nicht, wie die Dinge sind; wir sehen die Dinge, wie wir sind. Das gilt auch für das Fotografieren, welches mein Sehen auf Reisen im Takt der sich mir anbietenden Motive festhält, bannt, DSC_0011einfriert; das alles im Versuch, den Augenblick der Vergänglichkeit zu entreißen, den Veränderungen, letztendlich dem Tod zu trotzen. Jedes Foto gibt mit der Wahl des Motivs, ja sogar mit seinem gewählten Ausschnitt etwas von der Person preis, die es macht. Was zeige ich? Was nicht? Was kann nur schriftlich festgehalten werden und kommt ohne Bild aus? Zum Beispiel, dass hier Kleinkinder keinen Schnuller haben, die Häuser frei von Schornsteinen sind, es kaum beheizte Räume gibt, selbst wenn die Temperaturen unter Null gehen? Die Maus, mit der ich im Dashboard meines Blogs navigiere, ist so kalt, dass ich lieber auf dem Touch-Pad bleibe. Die Menschen so hilfsbereit, dass sie große Umwege in Kauf nehmen, um uns auf den richtigen Weg zu bringen , auch wenn sich des öfteren herausstellt, dass es der falsche Bahnhof, der falsche Bus ist. Kaum stehen wir hilflos herum, da wir weder die Zeichen noch die Sprache verstehen, kommt jemand, zückt sein Smartphone und versucht über Übersetzungsprogramme mit uns zu kommunizieren. Der Taxifahrer sucht ein Hotel, das sich in der Nähe des Bahnhofes befinden soll, scheint es aber nicht zu finden. Während das Radio plärrt, das Funkgerät Zischlaute von sich gibt, die sich anhören, als würde ein Zündkabel unter Strom stehen, navigiert er mit dem Smartphone und telefoniert gleichzeitig. DSC_001320160121_131708Irgendwo hält er, zeigt mir das Display mit der kryptischen Botschaft: "the waiter is coming soon"  und bedeutet uns auszusteigen. Da ist aber weit und breit nichts; eine Karaokebar, ja, aber kein Hotel. Doch: Eine Frau biegt um die Ecke und winkt. Wieder einmal gut gegangen. Sie ist vom Hotel. Das alles können Bilder nicht festhalten, doch manchmal etwas illustrieren, was keiner Worte bedarf. Immer wieder hoffe ich, dass mir der Mix aus beidem gelingt.

20160116_200617Zhangjiajie - Changsha - Guilin - Yangshuo. Bus - Taxi - G-train - Bus - Taxi. Für eine halbe Stunde war der Himmel zu sehen, dann wieder Städte und Landschaften, die durch die Kohlendioxid-Emissionen nur als Schemen wahrzunehmen waren. Ankunft am Abend in Yangshuo im Regen, der alles noch trostloser erscheinen lässt, als es das feuchtkalte Klima und der Nebel ohnehin schon tun. Oft fragen wir uns, ob sich das längerfristig nicht auf das Gemüt schlagen muss, wenn man wochenlang den Himmel nicht mehr sieht; weder die Sonne, noch Sterne und Mond. Haben sich die Menschen hier damit abgefunden? Was müsste geschehen, um die Luftverschmutzung auf ein Niveau zu senken, das westlichen Standards entspricht? Wie viele Fabriken müssten zusperren, wie viele Kohlekraftwerke stillgelegt und wie viel Individualverkehr zugelassen oder verboten werden? Und vor allem: Kann sich das wachstumsverwöhnte und exportorientierte China das leisten? Weiß nicht, welche verbindlichen Regelungen für die Reduzierung der Kohlenstoff-Emissionen beim Klimagipfel in Paris vereinbart worden sind. Feststeht, dass das Land der Mitte für ein Viertel der Pollution weltweit verantwortlich ist. 20160117_150650Als würde ein gutmeinender Wettergott Erbarmen mit uns haben, wird es Morgen aufklaren und der geplante Li River Bamboo-Trip bei endlich blauem Himmel stattfinden. Yangshuo in der Provinz Guanxi ist mit 130 000 Einwohnern eine kleine Stadt, in der - sicher auch wegen des Tourismus - kaum etwas vom alten China zu entdecken ist.   Eine lange Wanderung in die Umgebung und wieder zurück macht uns ortskundig und zeigt uns die vielen Gesichter von China, in welchem uns das zeitgleiche Vorhandensein einer noch 20160117_15093520160119_11102520160119_114224immer archaisch anmutenden Welt und einer, die schon in der Zukunft angekommen zu sein scheint, so fasziniert. Der Himmel ist zwar wolkenverhangen, aber es regnet nicht und es ist nicht wirklich kalt. Die Unterkunft, -  ein Hostel am Rand der Stadt -, ruhig, sauber und billig. Auf dem Weg in die Stadt plötzlich Höllenlärm von auf der Straße abgefeuerten Knallkörpern. Ein Auto mit einem buntem, papierumflochtenem Drahtgestell auf dem Dach; dahinter in Dreierreihen Männer und Frauen, von denen die in der Mitte gelbliche Stoffüberwürfe tragen und immer wieder - von beiden Seiten gestützt -, hinknien, wieder aufstehen, wieder hinknien, bis ein überdimensional großer, schwarzlackierter, dickwandiger Sarg im bereitstehenden Auto Platz gefunden hat. Die Umhänge werden ausgezogen und die Trauergemeinde zerstreut sich. Ein vorausfahrendes Fahrzeug wirft gelbes Papier auf die Straße, das sofort von eine Brigade Straßenkehrer aufgesammelt und weggekehrt wird. Ein rätselhaftes Trauerzeremoniell.

20160114_112056Heute Sightseeing und Tonjagd im Dorf vor dem Eingang zum Geopark. Um die Reise nicht nur in Bildern zu dokumentieren, habe ich mein Aufnahmegerät mitgenommen, um das bereiste China auch akustisch zu portraitieren. Vielleicht lässt sich so das Fremdsein und das Fremde und Befremdliche in einer Collage, zu der nicht nur das gesprochene Wort, sondern auch die Geräusche gehören, zu einem Kino für die Ohren machen. Akustisches Storytelling also einer Reise, das ohne Kommentar auskommen soll. Das jedenfalls ist das Vorhaben.

Bevor ich den nächsten Beitrag ins immer wieder zusammenbrechende Netz stelle, möchte ich mich bei all jenen bedanken, die mein Blog lesen und uns virtuell auf unserer Chinareise begleiten. Leider kann ich auf die Kommentare nicht eingehen, da ich oft froh bin, wenn ich ein Zeitfenster mit stabilem Netz nutzen kann, um zu posten. Auf euer Verständnis hoffend, will ich heute von the flying mountains berichten, die das Ziel unserer Reise nach Zhangjiajie waren. 20160113_121114Auch wenn sich James Cameron für seinen Film "Avatar", der auf dem Planet Pandora spielt, angeblich nicht von dem spektakulären Geopark in der Nähe von Zanghjiajie inspirieren hat lassen, China wirbt sehr wohl damit und lockt jährlich bis zu 20 Millionen Besucher in diese fast mystisch und nicht von dieser Welt wirkende Kulisse, die aus rotem, eisen- und quarzhaltigem Sandstein zumindest für die dort ansäßigen Einheimischen nur von Göttern geschaffen worden sein kann. Der Naturpark, heute UNESCO geschütztes Weltkulturerbe, war Jahrtausende terra inkognita und nur von den Minderheiten der Tujia, Miao und Bai besiedelt. Das 257qkm große Areal mit seinen 20160113_123346_renamed_1382520160113_131044nationalpark (1) (25)subtropischen Wäldern, in denen noch der Leopard heimisch ist, gehört mit den über 243 Berggipfeln und 3000 himmelragenden Karstsäulen und -türmen sicher zu den sehenswertesten Landschaften Chinas. Leider hat sich der dichte Vorhang aus Nebel und Smog auch auf 1000 m nicht gelichtet, und jetzt hat es auch noch zu schneien begonnen; trotzdem bereuen wir es nicht, den weiten Weg von Changsha bis hier herauf nach Zhangjiajie unternommen zu haben. Die Ausblicke auf den kunstvoll mit Steinplatten ausgelegten Gehwegen und Plattformen auf die mit phantasievollen Namen getauften, aber sie nicht Lügen strafenden Steinformationen, die wie Pilze oder über die Maßen große Stalagtiten anmuten, sind atemberaubend schön.

  20160112_071215Heute das erste Mal Lehrgeld oder Deppensteuer bezahlt, obwohl es nicht wirklich unser Fehler war, sondern der der Frau an der Rezeption, die den Taxifahrer nicht instruiert hat, auf welchem Bahnhof unser Zug nach der Zungenbrecherstadt "Zhangjiajie losfährt. Noch vor 5 Uhr in der Früh jedenfalls waren wir auf einem menschenleeren Bahnhof. Der einzige Mann war ein Kautabak kauender Wachmann, der in einem möglicherweise auch für chinesische Ohren unverständlichen Kauderwelch auf uns einredete. Zu ihm gesellte sich ein junger Mann, der mit ihm die Nacht verbracht haben dürfte, um sich eine Unterkunft zu changsha_morning (1)ersparen. Dieser junge Mann war rührend um uns besorgt, aber vollkommen hilflos. Ununterbrochen textete er ins Englische übersetzte, aber vollkommen absurde Botschaften wie: here is no work oder there is nothing, die wir mit zunehmender Panik zur Kenntnis nahmen und kopfschüttelnd quittierten, was ihn aber nicht davon abbringen ließ, weiterhin auf sein Translatorprogramm zu vertrauen, bis wir schließlich beschlossen, nachdem wir niemanden fanden, der auch nur ein paar Wörter Englisch verstand oder begriff, welches Problem wir hatten, uns wieder ein Taxi zu suchen. Wir wussten nur zu gut, dass es keinen anderen Zug mehr geben würde, da alle schon bis auf diesen early morning train ausgebucht waren. Der junge Mann schien von unserer Panik angesteckt und in ehrlicher Sorge. Das ging so weit, dass er uns nicht mehr von der Seite wich, bis wir wieder ein Taxi fanden. In unserer Not fiel uns nichts Besseres ein, als Mike changsha_morning (1) (3)aus dem Schlaf zu reißen, der uns am Vortag angeboten hatte, uns trotz der frühen Stunde auf den Bahnhof zu begleiten. Nach etlichen Versuchen - der Taxichauffeur war in der Zwischenzeit in einen heftigen Disput mit dem jungen Mann verwickelt - erlöste uns Mike mit einem verschlafenen Hallo. Ich schilderte ihm kurz das Problem, übergab das Smartphone dem Taxichauffeur, worauf wieder ein langes Palaver folgte, in das sich auch der junge Mann einmischte. Endlich war es so weit, aber in Wirklichkeit zu spät, um noch rechtzeitig auf den Zug zu gelangen. Wir trafen Mike in einem MacDonald am richtigen Bahnhof. Mittlerweile war der Tag angebrochen, obwohl er wegen des Smogs von der Nacht kaum zu unterscheiden war. Ein spooky Szenario, das uns an den Film "the fifth element" erinnerte. Wochenlang den blauen Himmel nicht zu sehen und sich mit Masken gegen den Feinstaub schützen zu müssen, kann ich mir schwer vorstellen: - Kinder inhalieren das Gift von drei Schachteln Zigaretten täglich und der Husten ist chronisch -. Ein Höllenlärm von miteinander konkurrierenden Lautsprecherdurchsagen, Hupkonzerte von Zubringern, die sich einen Weg durch die Menschenmassen bahnten, und tausend Lichter von Werbeeinschaltungen, die sich im nassen Asphalt spiegelten. Obdachlose, die in den noch geschlossenen Eingängen der Geschäfte schliefen, was bei der Kälte uns ein Ding der Unmöglichkeit schien. Bettler. Ja, viele Bettler, die mir in Suzhou nicht so aufgefallen sind. Menschen, die der Turbokapitalismus wie überall, so auch im kommunistischen China aus der Gesellschaft gespült hat.