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Texte
by Helmut Hostnig
Es war einmal, wie’s keinmal war. Wär’s anders gewesen, würde es nicht erzählt werden.
Es war einmal ein Herrscher in Fernost. Er ging als Hassada II in eine nie geschriebene Geschichte ein, war von schlichtem Gemüt und ebenso grausam wie sein Vater es gewesen war. Nicht grausamer also wie alle die Herrscher vor ihm und sicher nicht weniger als die, die ihm nachfolgen würden. Er selbst würde die Ausübung seiner Macht mithilfe gut bezahlter Büttel nicht für grausam halten. In seinem Auftrag handelnd und seine Befehle ausführend kannten sie keine Schonung und setzten selbst Waffen gegenüber Aufständischen ein, die von anderen Imperien mit großer Übereinkunft geächtet waren, selbst solchen, die wie seines, mit eiserner Hand regiert wurden, denn immerhin galt es, die Ordnung aufrecht zu erhalten. Und dazu schien jedes Mittel in seinen Augen gerechtfertigt.
Hassada II war groß. Er überragte alle seine Untergebenen, die schon dieser körperlichen Größe wegen zu ihm aufschauen mussten. Das Auffallendste an ihm war sein langer Hals, der einen im Vergleich zu seiner Körpergröße geradezu kindlich kleinen, dafür aber recht kantigen Kopf trug. Seine Augen konnten dreinschauen wie ein Basset, der nichts anderes getan haben will als das, was seine Natur ihm aufgegeben hat. Sein Volk, aber auch der Teil seines Volkes, der gegen ihn Krieg führte, sprach immer nur von der Giraffe, wenn von ihm die Rede war. Er zeigte sich selten in der Öffentlichkeit. Für seine Allgegenwart aber sorgten allerorten überlebensgroße Abbildungen, die ihn im Anzug und staatsmännischer Pose zeigten. Selbst Gesichtsblinde konnten ihn, wenn schon nicht am Portrait, das in allen Schulen, Kasernen oder Ämtern hing, an den überdimensionierten Goldrahmen erkennen. Ganz abgesehen von den meterhohen Statuen, die auf beinahe allen Verkehrsinseln der größeren Städte aufgestellt, aber dort schon geschliffen waren, wo zwar kein Stein mehr auf dem anderen stand, aber wenigstens auf von ihm und seinen Handlangern befreiten Gebiet.
Je länger dieser Krieg andauerte, umso heftiger wurden seine Träume, wenn ihn nicht Schlaflosigkeit wach hielt, was immer öfter vorkam. Die Tatsache aber, dass er sich an seine Träume nicht mehr erinnern konnte, brachte ihn so auf, dass er schier nicht mehr wusste, an wem er seine Wut auslassen sollte. Er befahl seine Seher und Späher zu sich und eröffnete ihnen, dass er demjenigen, der ihm den Traum der letzten oder kommenden Nächte deuten könne, seine Tochter zur Frau geben würde, wenn er es aber nicht vermöchte, noch am selben Tage sein Leben lassen müsse. Niemand hatte zwar seine Tochter je gesehen, aber es hieß, dass sie sehr, sehr schön sein und trotz der Tatsache, aus den Lenden dieses blutrünstigen Diktators gezeugt worden zu sein, ein sanftes Wesen besitzen soll.
Die Tage verstrichen, aber niemand wollte sich zu solch kühner Tat melden. In der Zwischenzeit aber blieb Hassada II nicht untätig. Er befahl einem seiner Diener ihn sofort aufzuwecken, wenn sein Schlaf unruhig sein würde und den Traum sofort nieder zu schreiben, aus dem er aufgeweckt worden war. Aber jede Nacht war es dasselbe. Gerade noch wusste er, wovon er geträumt hatte, aber schon im Aufrichten aus den schweren Kissen war der letzte Traumfetzen verflogen. Das ärgerte ihn so, dass jede Nacht ein anderer Diener seinen Zorn darüber zu spüren bekam und je nach Laune entweder ausgepeitscht oder dem arabischen Roulette ausgeliefert wurde. Du willst jetzt sicher wissen, was es damit auf sich hatte. Aber worin der Unterschied zum Russischen bestand, führt zu weit weg von der eigentlichen Geschichte, die ich dir zu erzählen versprochen habe. So viel sei verraten: Es war nicht lustiger als das Ausgepeitschtwerden. Zum Schluss wagte es niemand mehr ihn aufzuwecken, aber dies galt in den Augen des Herrschers als besondere Feigheit. Da war es mit keiner Spielart seiner grausamen Launen mehr getan.