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LIFECONVERT DSC_0004Wer von uns wünscht sich nicht, einmal ein anderer  zu sein. Wenigstens für einen kurzen Augenblick ein anderer. Nicht sich hineindenken in einen anderen. Ich meine nicht Empathie, nicht das flüchtige Verstehen eines anderen, keine Identifikation, keine Nachahmung, kein Spiel mit Identität.  Einmal ganz und gar ein anderer sein. Nicht, weil ich verzweifelt bin und deshalb nicht ich selbst sein will; nicht, weil ich ungelöster Probleme wegen eine Selbstflucht als letzte Rettung sehe; auch nicht, weil ich mich in meiner Haut nicht wohl fühle;  in letzter Konsequenz will ja niemand mit einem anderen tauschen. Und es hätte auch keinen Sinn. Angenommen, du weißt, dass du es nicht mehr lange machst; was würde es dir nützen, ein anderer zu sein? Hättest du tatsächlich dann ein anderes Selbst, wüsstest du gar nicht mehr, dass es dich mit diesem Wunsch gegeben hat. Das käme ja einer Selbstauslöschung gleich. Nicht tauschen also wollte ich, sondern für einen kurzen Zeitraum nicht ich, sondern ein anderer sein.  Nein, nicht verschmelzen. Es gibt kein Verschmelzen von Ich und Du. Selbst das Wir sind zwei. Wir können noch so viele Rollen spielen und uns aufspalten in bi- oder tripolare Persönlichkeiten, nie aber werden wir ein anderer sein. Alles das war abgehakt. Nur das Nie wollte ich nicht akzeptieren. Es musste einen Weg geben und ich würde ihn gehen, wenn ich ihn gefunden habe. Es würde ein riskantes Unterfangen sein, aber mich hat schon immer das angespornt, was unmöglich scheint. Wer aber wollte ich sein? Irgendein Idol, dem die Massen zujubeln, oder jemand, der im Geld schwimmt? Nein. Wenn es möglich sein sollte, -und alles, was wir uns vorstellen, ist möglich - mein Ich zu verlassen, um in die Haut eines anderen zu schlüpfen, dann sollte es mein Mann sein. Mein Mann. Das war am naheliegendsten. Wie oft, - und das kennst du wahrscheinlich genauso gut wie ich -, habe ich mich gefragt, was im Kopf eines anderen vorgeht, im Falle meines Mannes zB., wenn er sich nach einem Streit zurückzieht. Da würde ich gerne seine Festplatte hacken und den Datenspeicher nach Infos absuchen, die dieses Schweigen begründen, aber auch, weil niemand nicht denken kann, wissen wollen, welchen Gedanken er gerade nachhängt, während er schweigt. Aber in ein anderes System eindringen, auch wenn es nicht in der Absicht geschieht, dort die Kontrolle zu übernehmen, ist nicht das gleiche, wie ganz und gar, mit Haut und Haar – das reimt sich sogar - ein anderer sein zu wollen.

Angst vor dem Lachen ist Angst vor dem Denken werbungDie im schrägen Winkel untergehende Wintersonne bricht sich in einer Fensterscheibe und spiegelt das so zurückgeworfene Licht auf die Wand seines Zimmers. Eine Kohlmeise besucht die aufgehängte Futterglocke, pickt einen Sonnenblumenkern und verabschiedet sich mit einem dreisilbigen tsi-da-tsit, das K., der das breitgefächerte Repertoire an Rufen, mit dem die Meisen untereinander kommunizieren,  als Dankeschön auslegen will. Hätte er sich kundig gemacht, dürfte er die Vögel bei den gemäßigten Temperaturen schon der Parasiten wegen nicht mehr füttern. Dazu kommt, dass gefütterte Männchen, weil sie am Morgen später zu singen beginnen, das eigene Weibchen nicht mehr vom Fremdgehen abhalten und daher riskieren, dass ihnen Kuckucksjunge ins Nest geschmuggelt werden. Je mehr wir wissen, umso weniger scheinen wir richtig handeln zu können, denkt K. und weiß sich damit nicht allein. Auch seine betagte Mutter hat sich unlängst beklagt, dass alles, das ganze Leben, immer schwieriger wird.  Früher nämlich, sagt sie, habe ich den mir geschenkten Fuchs tragen können, ohne Angst haben zu müssen, dass Tierschützer ihn mit Farbe besprühen. Um es ihr noch schwerer zu machen, hat K. damals auch das Binnen-I eingemahnt, da es auch weibliche Tierschützer gibt. BB zum Beispiel, sagt eine Stimme aus dem Off. Wer bist du?, fragt K., erhält aber keine Antwort. Im Gegenteil. Die Stimme tut, als hätte sie ihn nicht gehört, und setzt nach: Die hat unlängst gedroht, die russische Staatsbürgerschaft zu beantragen, wenn die zwei Zirkuselefanten "Baby" und "Nepal", getötet würden. Putin hat mehr für den Tierschutz getan als alle französischen Präsidenten. Frankreich ist ja nur noch ein Tierfriedhof. Nein, mischt sich eine andere Stimme ein: Ganz Frankreich ist jetzt Charlie, so wie alle Deutschen einmal Papst waren. Das ist nicht lustig, donnert eine männliche. Das ist Satire, verstehst du das nicht?, tschilpt die in höherer Tonlage angesiedelte. Und Satire darf alles. Das hat schon… Auch die Muslime auf der ganzen Welt mit Karikaturen über Mohammed beleidigen?, fällt ein Bariton ein, zu dem K. sich einen Bart denkt, obwohl er ihn deswegen nicht gleich als Salafisten sehen will, der verhängte Auspeitschungen und Enthauptungen nach Gebeten damit verteidigt, dass sie nicht jeden Freitag stattfinden. Beim näheren Hinhören entpuppt sich allerdings, dass es eine weibliche Stimme ist, die ihm vom Radio her bekannt vorkommt. Prominente Gäste, die sich da in meinem Kopf eingefunden haben, denkt K., und schon ist er – ohne es zu wollen - mitten in einen schrillen, vielstimmigen Chor von Stimmen in seinem Kopf geraten, und jede einzelne hängt - den Meisen vergleichbar - mit ihren metallisch klingenden Rufen, jetzt einem hohen pink und dann wieder mit einem warnenden dädädä, das auch von Ornithologen nicht mehr gedeutet werden kann, in der telematischen Futterglocke unter seiner Schädeldecke: Das chaotischste Versuchslabor, richtige Antworten auf falsch gestellte Fragen zu finden, das mann/frau sich vorstellen kann.