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Texte
by Helmut Hostnig
Zirkelschluss
Jetzt wo länger werden meine Tage oder kürzer, weil ich länger schlafe, und ich mich mit dem Aufwachen frage, wie ich sie verbringen will, Vergangenes heraufdämmert, ein Sommer zum Beispiel mit stoppelgelben Feldern, auf denen Schafe weiden, und ich meinem Sohn zuschaue, wie er selbstvergessen mit dem spielt, was er im Keller eines alten Bauernhauses gefunden und aus den Spinnweben befreit hat, ich dem Singsang derer lausche, die in der sengenden Hitze mit Bauchläden den Strand auf und ab laufen, um Erfrischungen anzubieten, das Leben so eingerichtet, als wäre jeder seiner Augenblicke von größter Bedeutung, ohne auch nur zu ahnen, wie winzig das Teilchen Zeit ist, das wir leben werden, so nichtssagend vor der Ewigkeit, und wie unermesslich der Raum, in welchem wir uns nie aufhalten werden, jetzt, wo ich das alles zu wissen beginne, und wieder Sommer ist, mein Sohn ein junger Mann auf der Jagd nach Erfahrungen, die ich ihm nicht ersparen kann, obwohl in ihm auch mein Blut kreist, jetzt, wo mein Lied gesungen ist und die Flamme der Neugier kaum mehr flackert, weil alles, was fremd ist, ich mir selber bin, heute, wo Sonne und Uranus eine Konjunktion bilden, eine unter Umständen positive Konstellation, wie mir ein Horoskop weismachen will, heute werde ich noch einmal so tun, als läge mein Leben vor mir.
Der Tag kam wie jeder. Er drang in ihn ein. Gewaltsam. Er schlug die Augen auf und nahm ihn wahr. Das Bett blieb eine Versuchung. Es war weich und es war warm. Der Traum aber, der sich mit dem Augenaufschlag verflüchtigt hatte, war keiner von denen, den er nicht gerne unterbrochen hätte. Es blieb ein Gefühl. Es war nicht Angst, es war etwas anderes, etwas, das er so gut kannte wie den in seiner Unaufdringlichkeit kaum wahrnehmbaren Geruch der Frau, die er neben sich zu finden hoffte, an deren Abwesenheit er aber gerade durch ihn schmerzlich erinnert wurde. Seit sie ihn verlassen hatte, begrüßte er die neuen Tage nicht mehr, sondern versuchte sich vor ihnen zu verstecken, wie es Kinder tun, indem sie die Augen schließen.
Wie es nun weiter gehen sollte? Er wusste es nicht. Ein blick auf die Uhr bestätigte ihm, dass der Tag schon begonnen hatte, und die, die arbeiten mussten, bald schon in die erste Pause gehen würden. Auf der anderen Seite der Erdhalbkugel ging es wieder auf den Abend zu. Wo war das nun wieder, fragte er sich, wo man in kurzen Zeitabständen und Entfernungen 12 mal Neujahr feiern konnte? Dort würde ich jetzt gerne sein, dann hätte ich 12 mal die Möglichkeit den Tag anders zu beginnen. Bei diesen Gedanken huschte ein kaum merkliches Lächeln über sein Gesicht, das er im Spiegel kaum wieder erkannt haben würde, aber er mied ihn, so gut er konnte, da er in ihm jemanden wieder erkannte, dem er nicht begegnen wollte: einem selbstmitleidigen, fast schon griesgrämigen Mann jenseits der mittleren Jahre mit noch immer gezähltem grauem Haar auf seinem Haupt. Selbst an Schaufenstern würde er sich vorbeidrücken. Sie könnten ihn spiegeln, und dann würde er wieder einen Meineid schwören müssen oder sich selbst verraten: Das da bin nicht ich. Ich kenne ihn nicht. Er sieht mir nur ähnlich.