Meine Großmutter war aus Böhmen, Nordböhmen, d.h sie kam aus dem ehemaligen Siedlungsgebiet der Sudetendeutschen, die nach Ende des Zweiten Weltkrieges per Benesdekret "ausliquidiert" wurden; binnen 24 Stunden hatten sie mit Handgepäck Haus und Hof zu verlassen. Ja, die Tschechen hatten durchaus noch eine Rechnung offen mit den Deutschen und Österreichern. Will man den aufgestauten Hass verstehen, der in den Todesmarsch von Brünn und die Vertreibung der Sudetendeutschen in der RSB, der russisch besetzten Zone, mündete, müsste man zurück bis zu den Hussitenkriegen, dem Prager Fenstersturz oder zumindest bis zu dem schwelenden Nationalitätenkonflikt in den ehemaligen Kronländern der Habsburgermonarchie (eben hat mir das implementierte Wörterbuch Hassburgermonarchie vorgeschlagen) zurückgehen und vor allem die Verbrechen berücksichtigen, welche die Nationalsozialisten an den Tschechen verübt haben.
Zwei historisch belegte Zitate sollen aufzeigen, was der Plan der Nazis für die Tschechen vorsah, und zu welchen Vergeltungsmaßnahmen gegen die in Böhmen und Mähren angesiedelten Deutschen nach Ende des Zweiten Weltkrieges aufgerufen wurde:
Aus einer Denkschrift des „Staatssekretärs beim Reichsprotektor für Böhmen und Mähren, Karl Hermann Frank:
„Das Ziel der Reichspolitik in Böhmen und Mähren muss die restlose Germanisierung von Raum und Menschen sein. Um sie zu erreichen, gibt es zwei Möglichkeiten:
I. Die totale Aussiedlung der Tschechen aus Böhmen und Mähren in ein Gebiet außerhalb des Reiches und Besiedlung des freigewordenen Raumes mit Deutschen, oder
II. bei Verbleiben des Großteils der Tschechen (...) die gleichzeitige Anwendung vielfacher, der Germanisierung dienender Methoden (...)
Eine solche Germanisierung sieht vor:
1. Die Umvolkung von rassisch geeigneten Tschechen;
2. Die Aussiedlung von rassisch unverdaulichen Tschechen und der reichsfeindlichen Intelligenzschicht, bzw. Sonderbehandlung (sprich: Ermordung) dieser und aller destruktiven Elemente;
3. die Neubesiedlung dadurch freigewordenen Raumes mit frischem deutschen Blut.“
Aufruf der Tschechoslowakischen Regierung an das Volk der tschechischen Länder, damit es zu entschiedenen Kampftaten für die Befreiung der Republik übergeht, 17.April 1945, Košice“ (Kaschau):
"Erinnert euch an die furchtbaren Qualen während der sechs Jahre der deutschen Okkupation und vergegenwärtigt euch, dass jetzt der Augenblick der Rache für die blutigen Hinrichtungen durch Heydrich, Daluege und Frank gekommen ist, für den Tod der Hingerichteten und zu Tode gefolterten, für die Qual der Gefangengehaltenen, für die Erniedrigung der Versklavten, für Tränen und Leid von so vielen unglücklichen Familien unserer Nation.
Geht abrechnen mit den Deutschen für all ihre Gräueltaten und kennt kein Erbarmen mit den deutschen Mördern. Rechnet gnadenlos auch mit den Verrätern der Nation und der Republik ab!“
Quelle: „'Výzva ceskoslovenské vlády k lidu ceských zemí', aby prešel k rozhodným bojovým cinum za osvobození republiky, 17.duben 1945, Košice“. Vyšlo na str. 60-63 knihy „Cestou kvetna. Dokumenty k pocátkum naší národní a demokratické revoluce. Duben 1945 – kveten 1946“, Svoboda Praha 1975. (Erschienen im Buch „Der Weg vom Mai. Dokumente zum Beginn unserer nationalen und demokratischen Revolution.)
Wie man in den Wald hineinruft, so tönt es zurück! Das gilt im Kleinen wie im Großen, für Individuen, Ethnien, Religionsgemeinschaften, Minderheiten ebenso wie für Gebilde von Staaten. Ich kenne nur zwei politische Führer, für die Vergeltung keine Option war und Gewaltlosigkeit politisches Programm: Mahatma Gandhi und Nelson Mandela. Jesus, auf den die Christen sich so gerne berufen, hatte es vorgemacht und damit dem
Auge um Auge Prinzip des Alten Testamentes aufgekündigt.
Meine Großmutter mütterlicherseits kommt aus Parchen, ein kleines Dorf in der Nähe von Stein Schönau, das heute Kamenicky Senov heißt. Dort war die berühmte böhmische Glasmanufaktur angesiedelt, in der meine und meiner Geschwister Ahnen und Urahnen aus der Dynastie der Pietsch's und Palme's als Glasmaler und Graveure sehenswerte Exemplare von Kunst am Glas hinterlassen haben.